Sorry, you need to enable JavaScript to visit this website.
Direkt zum Inhalt

Vertikalschiebefenster des 19. und 20. Jahrhunderts

Nachfolgende Ausführungen wollen durch Bilder und Blicke auf den Gegenstand des Vertikalschiebefensters und hinter seine Verkleidung ein Plädoyer für bewusstes Sehen halten. Wenn aus dem Gesehenen die Erkenntnis über den Wert einer fast vergessenen Konstruktion entsteht, ist es dem Verfasser ein Anliegen, wenn diese geschätzt und womöglich geschützt wird (Abb. 1).

Es ist wie mit vielen Dingen, erst ein Ereignis, ein Hinweis legt den Fokus auf ein Objekt, das in der Folge eine völlig neue Qualität in der eigenen Einschätzung bekommt. So wurde mir in einem lockeren Gespräch von dem Vertreter des Veranstalters schmunzelnd eine gewisse »Fetischbeziehung« zu besonderen Konstruktionen im historischen Bauschaffen unterstellt, und ich wurde in der Folge gebeten, über eine solche Konstruktion mit den Augen eines Denkmalpflegers zu berichten. Die Beziehungsfähigkeiten waren wohl richtig erkannt, denn in den Folgemonaten begegnete mir das bislang in der Wahrnehmung völlig periphere Vertikalschiebefenster auf Schritt und Tritt: im eigenen Bildarchiv (Abb. 2 und 3) natürlich, aber auch beim Spaziergang in Wien an irgendeiner Ecke im dritten Bezirk (Abb. 4).

Ein Blick in die Geschichte

Die Aufgaben eines Fensters haben sich in den letzten Jahrhunderten kaum verändert und lassen sich in drei wesentliche Aspekte zusammenfassen:

1. Die Belichtung. Lichteinfall erfordert Glas. Das Schließen einer Wandöffnung mit dünnen Tierhäuten, die bis zu einem gewissen Grade transluzent waren, war unbefriedigend.

2. Die Belüftung. Sauerstoff soll in den Raum gelangen, Schadstoffe müssen abgelüftet werden. Voraussetzung hierfür ist ein Mechanismus zum Öffnen und Schließen des Fensters.

3. Der Schutz vor Umwelteinflüssen. Der winterliche wie der sommerliche Wärmeschutz erfordern eine gewisse Dichtigkeit.

Anmerkung: Gerade die Dichtigkeit und der Widerstand gegen winterlichen Wärmeverlust wird aktuell und bereits seit Jahren, regelmäßig abseits jeder Vernunft diskutiert. In aller Regel gilt jedoch: Gepflegte, sachkundig erhaltene Fenster aus dem 19. und 20. Jahrhundert sind ausgereifte Konstruktionen und noch heute geeignet, alle Anforderungen der Architektur und ihrer Nutzung zu erfüllen. Aufgrund der gestalterischen Qualitäten und des historischen Zeugniswerts lohnt sich der Einsatz für eine unveränderte, bzw. ertüchtigte Erhaltung.

Wandöffnungen in Gebäuden waren in der Geschichte immer eher schmal und hoch. Grund hierfür ist die Tatsache, dass mit zunehmender Breite die Anforderungen an die Fensterstürze exponentiell steigen. Stürze waren als Holzsturz, Natursteinblock oder gemauerter Bogen verfügbar. Daher waren die Breiten entweder absolut begrenzt, oder bei den Bögen mit z.T. gewaltigem Aufwand belegt. Historische Fensterelemente sind somit in der Regel aus Holz, hochrechteckig mit einfachem Falz, als Drehflügel und mit Wetterschenkel im Flügel ausgeführt. Der häufig vorkommende Bogen ist keineswegs bloße Dekoration, sondern regelmäßig Ausdruck der Konstruktion.

Die ersten beweglichen und verglasten Fensterflügel waren jedoch wahrscheinlich Schiebeflügel, nicht vertikal, sondern horizontal verschieblich. Hiermit konnten bereits im Mittelalter ohne den Einsatz von teuren Eisenbeschlägen für damalige Verhältnisse komfortable, öffenbare Fenster gefertigt werden.

Die filigranen Flügel laufen in einem nutähnlich ausgebildeten Blendrahmen. Die Hölzer wurden fachgerecht und regional unterschiedlich mit Schlitz, Zapfen, Zapfenschloss, Verblattung und Holznagel verbunden. Die mittelalterlichen Gläser waren bruchempfindlich und verhältnismäßig teuer, von daher war es von Vorteil, dass ein solches Schiebefenster im Wind nicht zuschlagen konnte. Aufgrund der ausschließlichen Verwendung massiver Hölzer war immer mit Verzügen oder gar Drehwuchs zu rechnen, demzufolge war die Schiebevorrichtung mit viel Spiel ausgestattet und das Fenster entsprechend undicht und für Wetterseiten eher ungeeignet. Ein sehr schön restauriertes Beispiel aus Lindau zeigen die Abb. 5 und 6.

Auf der Suche nach hochwertigen Fenstern für Ihr Baudenkmal?

Wir vermitteln Sie kostenfrei an Fachbetriebe in Ihrer Umgebung.

Das Vertikal-Schiebefenster leitet sich als Sonderform, bereits seit dem 16. Jahrhundert nachgewiesen, vom Schiebeladen ab. An dieser Stelle sei zur Vertiefung der Geschichte des Schiebefensters der hervorragende Artikel zum Thema, der dem Verfasser leider erst nach dem Vortrag im November 2008 zur Kenntnis kam, empfohlen: Klos, Hermann: Vertikalschiebefenster, Schieben statt Drehen, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamtes, 2/2008.

Im 19. Jahrhundert erfährt das Vertikalschiebefenster in ein- facher Ausführung eine starke Verbreitung in Großbritannien. 1904 veröffentlicht Opderbecke in seinem Fachbuch über den Innenausbau ein Detail eines sogenannten »englischen Fensters« (Abb. 7).

Bereits im 19. Jahrhundert hat Oscar Mothes in seinem ausführlichen Baulexikon (s. Abb. 8) die Fensterflügel in drei Kategorien eingeteilt, und zwar in 1. »drehende«, 2. »blinde, stehende oder tote« und 3. »fahrende Fenster mit Schiebeflügeln. Diese bedürfen keiner Bänder, denn sie laufen in Falzen oder Nuthen.«.

Anfang des 20. Jahrhundert fand die Grundform des modernen Vertikalschiebefensters mit feststehendem Oberlicht und be- weglichem Unterflügel (nur selten umgekehrt) insbesondere in Erdgeschossen mit gewerblicher Nutzung (Gastronomie, Läden) eine gewisse Verbreitung (Abb. 9–13).

Im geöffneten Zustand waren die hochgeschobenen Schiebeflügel häufig nur mit einem eingestellten Stock, einem Keil in der Schiebenut oder mit einem Lederriemen an der Laibung fixiert. All diese Konstruktionen führten wohl nicht selten zu leichten, selten zu schweren, immer jedoch beim Betrachter zu eher heiterkeitserregenden Unfällen mit Personenschaden.

Das häufige, ja fast flächendeckende Vorkommen von Vertikalschiebefenstern in Großbritannien und den Niederlanden ist laut Westenberger klimatisch bedingt.

Durch das gemäßigte Klima ist die Undichtigkeit des Fensters nicht von so großer Bedeutung. Bei Wind oder starken Böen schlägt das Schiebefenster nicht zu, und es ermöglicht bei dem eher feuchten Klima eine exakt dosierbare Dauer-Spaltlüftung zur Vermeidung bauphysikalischer Probleme (vgl. Westenberger, Daniel: Untersuchungen zu Vertikalschiebefenstern, Dissertation am Institut für Entwerfen und Bautechnik an der TU München, 2005, S. 36f.).

Die bisher angesprochenen Konstruktionen sind regelmäßig komplett aus Holz, selten aus Stahl gefertigt. Auch die Schiebeführungen sind in hölzerne Laibungsbretter gefräst oder gesägt. Holz ist grundsätzlich für die Konstruktion eines Vertikalschiebefensters ein geeignetes Material, gut selektierte Chargen und präzise Verarbeitung vorausgesetzt, da nur wenige Möglichkeiten zum Nacharbeiten bestehen. Wird das Fenster mit viel Spiel ausgeführt, läuft es zwar leicht, neigt aber zum Verkanten und ist noch undichter als es konstruktionsbedingt bereits ist. Wird das Spiel zu knapp gehalten, genügt schon das Quellen bei feuchter Witterung, um die Flügel zu verklemmen.

Zu dieser einfachen Konstruktion sollen im Folgenden vier Weiterentwicklungen dargestellt werden.

1. Fixierung der Schiebeflügel in jeder beliebigen Position durch laibungsgeführte Gegengewichte

Abb. 14 zeigt die von Lueger 1904 veröffentlichte Werk- zeichnung eines Schiebefenster mit Gegengewichten.

Abbildung 15 zeigt ein herrschaftliches Krefelder Gebäude in bester Lage, entworfen von einem Architekten, der gerne für die reichen Krefelder Seidenhändler gebaut hat. Dieses Natursteingebäude war sein Privat- und Bürohaus. Von vorn eine schlichte, aber wertige Fassade mit Drehflügelfenstern (Abb. 15). Von hinten ergibt sich der Verdacht, in dem Erker könnten Vertikalschiebefenster eingebaut sein (Abb. 16). Können Vertikalschiebefenster gebogene Blendrahmen mit im gleichen Radius gebogenen Scheiben haben? (Abb. 17) Sie können! (Abb. 18, 19) Sogar mit bowdenzuggeführtem Kippoberlichtöffner.

2. Schiebefenster mit zwei Schiebeflügeln

Eine Entwicklung, die für die Funktion des Vertikalschiebefensters von größter Bedeutung ist, ist die »Mobilisierung« des Oberlichts ebenfalls als Schiebeflügel.

Abb. 20–23 zeigen Schiebefenster in einem Krefelder Brauhaus mit Farbverglasung und Bleiruten. In Abb. 20 und 22 ist das Unterlicht lediglich gekippt und das Oberlicht so weit wie möglich heruntergeschoben. Damit sich die beiden spitzwinklig gegeneinander laufenden Flügel nicht verklemmen, fungiert ein kleiner Keil (Abb. 23) als Anschlag. Bei einem geschlossenen Vertikalschiebefenster ist dieser kleine Keil immer der eindeutige Hinweis, dass auch der Oberflügel beweglich ist.

Abb. 24–28 zeigen Schiebefenster in einem Krefelder Wohnhaus. Das raumseitig geführte Unterlicht ist hier ganz nach oben, das auf der Außenseite laufende Oberlicht ganz nach unten geschoben und nach innen gekippt (Abb. 24). Soll der Flügel zur Reinigung in dieser Lage bleiben, benötigt man einen freundlichen Helfer mit Geduld und trainierter Muskulatur. Ein passend zugesägter Besenstiel hält den Flügel allerdings auch. Versagt der freundliche Helfer oder tritt jemand den Besenstiel weg, dürfte der Flügel durch sein erhebliches Gewicht an der beschlagsnahen Knickstelle an der innern Fensterbank durch die Hebelwirkung brechen. In den fast hundert Jahren des Bestehens dieses Hauses wurde offensichtlich keiner der Flügel repariert. Der respektvolle und pflegliche Umgang hat hier einen unreparierten Originalzustand erhalten. Damit die Flügel im normalen Betrieb nicht versehentlich nach innen kippen, dienen kleine Riegel als Sperre. Der Erbauer dieser Fenster hat sogar daran gedacht, dass die Breite der Fenster die Spannweite zweier menschlicher Arme überschreitet und hat deshalb die Sperrriegel unterschiedlich lang gemacht, damit sie nacheinander bedient werden können (Abb. 25).

Je größer und schwerer die Flügel werden, desto höher werden die Anforderungen an die Beschläge. Insbesondere der Befestigungspunkt, an dem das Stahlseil den Flügel trägt, kann bei großen Flügeln nicht mehr nur eine simple Schraube sein (Abb. 26).

Bei zwei beweglichen Flügeln muss einerseits die Hand am Oberflügel einen gut zu fassenden Griff finden. Dieser Griff muss jedoch andererseits flach genug, um »begegnungsfalltauglich« zu sein. Abb. 27 zeigt am äußeren Flügel die ergonomisch geformte Griffmulde.

Der Sinn der Abb. 28 ist nicht nur, eine kluge und hübsche Praktikantin der Krefelder Denkmalpflege zu präsentieren, sondern der Hinweis, dass bei der Konzeption eines Vertikalschiebefensters das menschliche Maß von wesentlicher Bedeutung ist und war: Durch die mittige Teilung des Fensters muss die Bemaßung so gewählt werden, dass eine Betrachterin durchschnittlicher Körpergröße stehend, ohne sich zu bücken oder zu recken, den Blick nach draußen frei schweifen lassen kann und kein Brett resp. Flügelholz vor dem Kopf hat.

Auf Abb. 29 erkennt man den Keil, der das Verkanten der Flügel bei gekipptem Unter- und heruntergeschobenem Oberflügel verhindert (s. auch Abb. 23).

Abb. 30 zeigt eine gespleißte Seilschlaufe, wie sie sein soll, Abb. 31 die handwerklich schnelle, aber schadensträchtige Baumarkt-Reparatur, da die Seilschelle die Führungsnut des Fensters beschädigt.

Ein See-Freibad mitten in der Eifel schmückt sich mit diesem Vertikalschiebefenster mit asymmetrischer Teilung. Hier hat das Fenster neben seinen bereits beschriebenen Funktionen auch noch die eines Schalters. Der Unterflügel lässt sich nur etwa zwanzig Zentimeter hoch schieben. Genug Durchlass für den Eintrittskarten- oder Imbissverkauf, andererseits aber auch genug Barriere gegen den Versuch, in die offene Kasse zu greifen (Abb. 32, 33).

Eine Ecke weiter im gleichen Bad zeigt sich die schwer erklärbare, umgekehrte Teilung (Abb. 34, 35). Der ratlose und interessierte Blick nach innen verrät die Lösung. Es handelt sich um ein Schwingfenster (Abb. 36). Diese ganz besondere Fensterkategorie ist Thema für einen anderen Vortrag.

Auch in der Bahnsteighalle des Hauptbahnhofes Krefeld, im Pavillon für die Betriebsaufsicht, hatte früher ein Vertikalschiebefenster die Schalterfunktion übernommen (Abb. 37, 38). Da es sich um einen Fachwerkbau handelt und hier die Laibung gleichzeitig die statische Konstruktion ist, kann, zumal es sich um eine Ecke handelt, in der Laibung kein Gegengewichtskasten sein. Die pragmatische Lösung ist, den Kasten außen vorzuschrauben und das Seil entsprechend umzulenken (Abb. 38, links im Bild).

Ein Krefelder Wohnhaus der 1920er Jahre gibt Rätsel auf: Für ein filigranes, einflügeliges Drehfenster mit drei Quersprossen ist das Öffnungsmaß einfach zu groß. Wie sollte es anders sein, es handelt sich hier um ein Vertikalschiebefenster, und zwar um das mit dem wahrscheinlich schmalsten Stulp, der je gebaut wurde – etwa 25 Millimeter (Abb. 39).

Dies war nur möglich, indem das obere Rahmenprofil des Unterflügels und das untere Profil des Oberflügels, also gewissermaßen der Stulp des Schiebefensters durch jeweils ein Stahlprofil ersetzt wurde. Das Fenster erfreut sich seit achtzig Jahren regelmäßiger Pflege in geringem Umfang. Dies und natürlich die gute Materialauswahl – schließlich wurde das Stahlprofil stumpf auf das Hirnholz geschraubt – war genug, um diesen bauphysikalischen Regelbruch bis heute zu erhalten (Abb. 40).

Die Gastronomie schätzt das Schiebefenster aus gutem Grund. Die Plätze am Fenster sind die besten, wären aber völlig unbrauchbar, wenn man hier Drehflügel zum Lüften einsetzt. Hier einige Beispiele:

Die Schiebefenster eines Krefelder Brauhauses zeigen eine etwas eigenartige Materialkombination. Der Oberflügel mit Holzsprossen teilt die Fläche in Quadrate, während der Unterflügel mit Bleiruten in stehende Rechtecke mit ein- gesprengten Farbgläsern eingeteilt ist (Abb. 41, 42).

Schon eher verunstaltet zeigt sich dieses Krefelder Haus: unangemessene Farbigkeit, aspikversprosste Plastikfenster im Obergeschoss, geometrisch verschwurbelte Saloon-Schwing- türen und für die Proportion des Gebäudes formatverkehrte Vertikalschiebefenster (Abb. 43).

Die Nutzungsqualität von Schiebefenstern nutzen Gastronomen unterschiedlichster Zielgruppen: Ein Häkeldeckchen-Café in einem Duisburger Vorort (Abb. 44), ein Speiselokal am Markt in Krefeld-Hüls (Abb. 45) und eine Studierenden-Kneipe im Aachener Univiertel (Abb. 46).

Bei alltäglichen Wohnhäusern sind Schiebefenster eher die Ausnahme, sind jedoch zu finden:

Ein sehr ansprechend und aufwendig durchgestaltetes Wohnhaus mit segmentbogigen Oberflügeln an einer geknickten Straße in Krefeld (Abb. 47,48).

Möchte man einen polygonalen Erker im Sommer zweckgemäß nutzen, indem man bei offenem Fenster »vor« der Fassade sitzt, muss man eine Fensterkonstruktion wählen, die im geöffneten Zustand nicht in den Raum ragt (Abb. 49, 50).

Sogar ein Krefelder Mehrfamilienhaus mit ansatzweise expressiver Formensprache nutzt die Möglichkeit, mit Schiebefenstern das »andere« Format zu wählen (Abb. 51, 52). Hier wurde mit geringem handwerklichem Anspruch, aber noch duldbar eine Isolierverglasung eingesetzt (Abb. 53). Der Preis der Gewichtserhöhung ist gleichzeitig eine Nutzungseinschränkung: Hier wurden die Oberflügel festgesetzt und deren Gewichte im Laibungskasten für den Unterflügel mitgenutzt.

Ein spektakuläres Einfamilienwohnhaus findet sich in Viersen, entworfen von einem der herausragenden Architekten der Nachkriegsmoderne: Bernhard Pfau, der in seiner Jugend mit Bruno Paul, Josef Hoffmann und später mit Emil Fahrenkamp arbeitete, hat hier ein außergewöhnliches Haus für den Kaffeegroßhändler Walter Kaiser – der Kaiser mit der grinsenden Kanne, die heute noch eine Supermarktkette schmückt – entworfen. Zwei Aufnahmen von der Straßenseite zeigen das klare, für ungeübte Betrachter etwas spröde Design (Abb. 54, 55).

Die sogenannte Pagode (Mercedes 280 SL) des heutigen Eigentümers passt in gut in diese Gestaltungslinie und den Qualitätsanspruch. Ohne näher auf das Werk Pfaus eingehen zu wollen, soll die fast kämpferische Liebe zum perfekten Detail herausgehoben werden. Ein Zierprofil, das wie in der Vergangenheit im Baugeschehen üblich, eine schlechte Detaillösung verbirgt, ist bei Pfau undenkbar. Jedes Detail musste so gut entwickelt sein, dass es auch ansehnlich ist, und alles, was dafür nicht erforderlich war, wurde auch vermieden. Ein Fenster, das vor Bernhard Pfau bestanden hat, musste von hervorragender Qualität sein und trotzdem eher mehr können als bisherige Konstruktionen. Pfau hat sich hier für eine ausgeklügelte Konstruktion der Firma Heinrich Schmidt aus Blaubeuren entschieden (Abb. 56).

Sind die Beschläge zum Öffnen gelöst, hängt der Unterflügel an den Seilen völlig frei und ist daher auch sehr leicht beweglich, weil keine Schiene oder Nut den Lauf behindert. Der Oberflügel läuft relativ locker in einer Leistenführung, die er an seiner Oberkante erst verlassen kann, wenn er ganz nach unten geschoben ist. Im Gegensatz zu früheren Konstruktionen ist das Einkippen mühe- und gefahrlos möglich, weil die Flügel nicht an ihrer Unterkante, sondern knapp oberhalb der horizontalen Schwerpunktachse aufgehängt sind. In Abb. 57 ist das gut an der entspannten Fingerhaltung des Hauseigentümers zu erkennen. Hat man den Unterflügel in die gewünschte Lüftungsposition gebracht, kann der Flügel durch einfaches Drehen der Verriegelungsgriffe sturmsicher an einer Stahlschiene fixiert werden (Abb. 58).

3. Der Stürmann ST-Beschlag

Neben den bisher gezeigten Schiebefenstern hat sich eine weitere Firma erfolgreich und bereits Anfang des 20. Jahrhunderts mit eigenen Patenten einen guten Namen gemacht. Die Firma Stürmann aus Düsseldorf hat das Problem der Undichtigkeit durch das Spiel der in Holz gefrästen, verschwenkten Nuten gelöst, indem sie für die Führung der Flügel im Blendrahmen Stahlbeschläge entwickelt hat. Nach Ansicht des Verfassers sind hier die beiden technisch und funktional höchstwertigen Schiebefenster entwickelt und über eine lange Zeit produziert worden.

Der Stürmann ST-Beschlag verbindet eigentlich zwei Fenstertypen: Oben ein Parallel-Ausstellfenster, das den oberen Flügel etwa zehn Zentimeter in den Raum verstellt (nicht dreht, klappt, schiebt, schwingt, kippt oder wendet) und damit dem unteren Schiebeflügel den Platz verschafft, um in gerader Linie nach oben verschoben zu werden. Während bei allen anderen Vertikalschiebefenstern der untere Flügel immer innen vor den oberen geschoben wird, was zwingend ist, um einen sicheren Regenablauf zu gewährleisten, wird hier der untere Flügel außen vor den oberen geschoben (Abb. 59–60).

Weil der Beschlag schwer zu verstehen ist, hat die Firma Stürmann die Vertreter mit Demonstrationsmodellen losgeschickt (Abb. 61, 62).

Schöne Beispiele für erhaltene Stürmann-ST-Fenster finden sich in einer der berühmtesten Alt-Bier-Kneipen in der Düsseldorfer Altstadt (»Obergärige Hausbrauerei Uerige«). Hier werden diese Fenster mit handfester Ruppigkeit seit über fünfzig Jahren täglich genutzt. Im Winter dient eines der Ausstellfenster der Dauerlüftung. Im Sommer werden alle Schiebeflügel geöffnet und das Bier zeitweise durchs Fenster gereicht, weil sich auf beiden Seiten der Brüstung die Menschen drängen und sowieso kein Durchkommen mehr ist. Bei einem Schiebefenster ist nun mal nie der Flügel im Weg. Die Fenster sind bis heute in einem hervorragenden Zustand, sie werden auch immer noch fachkundig von der Firma Stürmann gewartet, auch wenn hier leider keine Schiebefenster mehr hergestellt und vertrieben werden (Abb. 63–67).

Der ST-Beschlag hatte seine technischen Vorzüge und eine erheblich bessere Dichtigkeit als andere Schiebefenster, weil das Ausstellfenster durch seine Schlagleiste auch den Schiebeflügel fest in den Falz drückt. Das offene Gestänge mit seinen Schmierstellen dürfte allerdings in vielen Fällen zur Ablehnung aus gestalterischen Gründen geführt haben.

4. Das Original-Stürmann-Fenster

Für die bessere Gestaltung, höchste Dichtigkeit und kaum Größenbeschränkung hatte die Firma Stürmann das Original-Stürmann-Fenster im Programm (Abb. 68). Ober- und Unterflügel sind Schiebeflügel, die beide in ihrer Flucht bleiben. Auf den ersten Blick den englischen oder amerikanischen Vorbildern des 19. Jahrhunderts ähnlich, liegen jedoch in der Detailausführung Welten dazwischen.

Abb. 69 zeigt die Villa eines Duisburger Kieshändlers. Eine in Ansätzen durchaus der Moderne verpflichtete Fassade mit konservativem Schmuckwerk in der Fensterrahmung und dem Gitterdekor ordnet das Gebäude zeitlich ein. Das Fenster selbst wirkt unspektakulär, mit schlichter Profilgestaltung (Abb. 70, 71).

Der patentierte Geniestreich ist im fertig montieren Zustand praktisch nicht mehr zu erkennen. Spätestens, wenn man das Fenster zur Reinigung öffnet (Abb. 74) oder dies im Modell (Abb. 75) gezeigt wird, wird jedoch klar, dass der »Einschwenk-Schiebebeschlag mittels Gelenkschienen« alle bisherigen Entwicklungen hinter sich lässt. Die Gelenkschienen und damit die komplette Führung der Fenster sind aus Stahl und praktisch luftdicht. Im geschlossenen Zustand greifen zwei Stahlwinkel ineinander, die auch den ansonsten problematischen Bereich zwischen den Flügeln zuverlässig abdichten (Abb. 76, 77).

Die Seilführung ist vollständig verdeckt und daher auch vor Verschmutzung geschützt, was eine sehr lange Funktion garantiert, ohne ständige Wartung zu verlangen. Der Clou ist jedoch, dass statt des unfall- trächtigen Einkippen der Flügel zur Reinigung, die Gegengewichte an einer Seite blockiert und ausgehängt werden konnten und die Flügel dann wie konventionelle Drehflügel in den Raum gedreht wurden.

Auch für diese Fensterkonstruktion hat die Firma Stürmann wundervolle Modelle gefertigt, mit denen Vertreter ihre Verkaufsgespräche illustrieren konnten (Abb. 78).

Die Konstruktion war in vielen Ländern patentiert. Abb. 79 zeigt die Zeichnung der Patentschrift beim »Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum« der Schweiz vom 24.12.1910. Ein wahres Weihnachtspatent.

Ausblick

Abgesehen von den besonderen mechanischen Eigenschaften der Vertikalschiebefenster ist aus heutiger Sicht die besondere Qualität der Steuerung der natürlichen Lüftung hervorzuheben. Untersuchungen zum Thema der mechanischen Zwangslüftung sind zahlreich verfügbar. Von der TU Wien wurden beispielsweise entsprechende Strömungsdiagramme entwickelt (Abb. 80).

Die natürliche Lüftung scheint unerheblich, dabei funktioniert sie schon bei wenigen Grad (Kelvin) Temperaturunterschied zwischen innen und außen ohne jeglichen Technikeinsatz hervorragend. Voraussetzung ist allerdings, dass für die Strömung flache und breit liegende Spalte übereinanderliegen. Nach dem Prinzip der oben beschriebenen Strömungsdiagramme sähe das dann aus, wie Abb. 81 verdeutlicht. Im Gegensatz zu der gerne genutzten Kipplüftung bei Dreh/Kipp-Fenstern, die im Winter vorwiegend zu einer Abkühlung des Sturzes führt (Abb. 81, rechts), ermöglicht das Vertikalschiebefenster mit zwei beweglichen Flügeln einen vollständigen Luftaustausch im Raum.

Am Beispiel Haus Kaiser in Viersen sieht die ideale Lüftungsstellung aus, wie die Abb. 82 zeigt.

Das Vertikalschiebefenster ermöglicht breite, liegende Öffnungen und kommt damit den Entwürfen der Moderne entgegen. Möchte man für neue Schiebefenster aus den alten Konstruktionen lernen, ist das sicherlich möglich. Es bleibt aber das Problem, dass der Stand der Technik zur Zeit Energieeinsparung bei Gebäuden auf die Minimierung des U-Werts begrenzt. Dies führt nicht nur zu unmäßig schweren Verglasungen und damit zu überbreiten Rahmenprofilen, sondern erhöht auch gleichzeitig die Anforderung an die Luftdichtigkeit. Bleibt also im Neubau auf künftige Vernunft zu hoffen, beim Denkmal dürfen wir glücklicherweise schon nach geltendem Recht vernünftig sein, ein wenig Undichtigkeit akzeptieren, sinnvolle Heizungsarten und speicherfähige Baustoffe bevorzugen und vor allem die historischen Fensterkonstruktionen erhalten.

Bildnachweis

Alle Aufnahmen stammen, soweit nicht anders angegeben, vom Verfasser. Bei den Abbildungen, Abb. 59, 60, 68 und 75 handelt es sich um undatiertes Werbematerial der Fa. Stürmann & Co. Düsseldorf.

Auf der Suche nach hochwertigen Fenstern für Ihr Baudenkmal?

Wir vermitteln Sie kostenfrei an Fachbetriebe in Ihrer Umgebung.

Neuen Kommentar hinzufügen